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Nach einem halben Jahr mit der Fujifilm GFX100s

Im Jahr 2017 wurde mir das Nikon Spiegelreflexsystem zu schwer und es erfüllte einfach nicht mehr meine Wünsche an eine Fotokamera. Ich suchte mir ein System, welches eine hohe Bildqualität bietet und mir Freude beim Fotografieren bereitet. Damals entschied ich mich für das Fujifilm GFX System mit allen seinen Stärken und Schwächen. Die Fujifilm GFX50s war ein robustes, gemütliches und qualitativ hochstehendes Arbeitsgerät. Die Kamera funktionierte jederzeit fehlerfrei und hat mit dem 50 Megapixel Sensor eine wirklich hervorragende Bildqualität geliefert, welche auch viele aktuelle Kameras heute nicht erreichen. Die Bedienelemente wurden damals von Fujifilm sehr einfach gehalten. Ein Blendenring am Objektiv, ein Rad für die Verschlusszeit und eines für die ISO-Empfindlichkeit. Simpel, einfach, perfekt für mich. Die Kamera hatte aber auch ihre Schwächen. Mit einem so grossen Bildsensor mit 50 Megapixeln aus der Hand zu fotografieren war heikel. Wenn man sich nicht konzentrierte, konnte es gut mal passieren, dass ich ein Bild mit einer 1/125s im Fotostudio verwackelte. Der Autofokus der Kamera war langsam. Damit liessen sich kaum vernünftig Reportagen fotografieren. Weiter war auch der Akkuschacht auf der Seite. So was von doof! Aber trotzdem, ich liebte diese Kamera und fotografierte damit sehr gerne. Wir verstanden uns blind.

«Wichtig zu erwähnen ist mir hier auch noch Mal, dass ich für diesen Artikel von niemandem nur einen Rappen erhalte und mir auch kein Fotozubehör geschenkt wurde. Nein, alles wurde schön brav bezahlt.»

2019 brachte Fujifilm damals die GFX100 auf den Markt. Ich durfte diese damals eine Woche testen. Qualitativ hat Fujifilm damals vieles richtig gemacht. Einige schwächen der GFX50 wurden beseitigt. Der Autofokus war für eine Mittelformatkamera richtig schnell und der IBIS Bildstabilisator machte das Fotografieren um einiges angenehmer. Die Kamera war aber wirklich gross und plötzlich waren die ach so geliebten Rädchen einfach weg. Ersetzt durch digitale Rädchen auf einem Hilfsdisplay. Der Bildsensor mit 100 MP war zwar ohne jeden Zweifel hervorragend, dennoch konnte ich mich mit dieser Kamera nicht anfreunden und blieb bei meiner GFX50s.

Und dann wurde dieses Jahr die GFX100s vorgestellt. Kleiner und handlicher als meine GFX50s, mit einem IBIS Bildstabilisator, einem deutlich verbesserten Autofokus (für eine Mittelformatkamera), und einem aus meiner Sicht viel besseren Akku.



War es nun Liebe auf den ersten Blick!? Nein, so gar nicht… Als ich die Kamera das erste Mal am Monitor sah, fragte ich mich, wo sind meine geliebten Rädchen geblieben!? Warum gibt es nun plötzlich ein Haupteinstellrad mit P,A,S,M wie bei einer öden Sony, Canon oder Nikon!? Sind die Doofis da draussen wirklich nicht fähig das Konzept von Fujifilm mit den drei Einstellrädern für Blende, Verschlusszeit und ISO-Empfindlichkeit zu verstehen!? Warum gibt es keinen abnehmbaren aufsteckbaren Sucher mehr an der Kamera? Und wer zum Teufel braucht unbedingt 100 Megapixel!?
Weil meine GFX50s aber bereits einige Abenteuer mit mir erlebt hatte und ich die Kamera gerne ersetzten wollte und mich auch die Nikon Z7II, welche ich über die Wintermonate getestet habe nicht wirklich überzeugte, habe ich mich entschieden die GFX100s zu bestellen.

Im letzten halben Jahr habe ich nun damit gearbeitet und habe meine Erfahrungen damit gemacht.
Im Rucksack ist mir natürlich gleich das deutlich kompaktere Gehäuse aufgefallen. Die Kamera ist kompakter und braucht weniger Platz. Das Gehäuse ist aus meiner Sicht ähnlich robust verarbeitet wie der Vorgänger und hat dieses Jahr schon einige Fototouren im Regen schadlos überstanden. Sehr freue ich mich über den neuen W235 Akku, welcher nun wie bei den meisten anderen Kameras auf dem Markt von unten in den Haltegriff eingeschoben werden kann. Die Laufzeit des Akkus ist absolut in Ordnung und reicht für meine Anwendungen gut aus. Schön ist natürlich, dass es der gleiche Akku ist wie bei meiner Fujifilm X-T4. Nun muss ich nicht immer zwei Typen Akkus mitnehmen. Um die Kamera auf meinem Stativkopf anzubringen, habe ich seit kurzem den neuen arca-kompatiblen L-Winkel von Markins im Einsatz. Nicht günstig, aber super gefertigt, kompakt und eben auch schön leicht. Die Kamera liegt schön in der Hand und lässt sich angenehm halten.

Die schönen Rädchen der GFX50s vermisse ich auch nicht mehr so fest wie vorher. Das Bedienkonzept der neuen GFX100s ist gar nicht so schlecht, nein es ist eigentlich sogar richtig gut. Die Kamera lässt sich so individuell programmieren, dass fast jede Taste und jedes Rädchen an der Kamera auf einfache Art und Weise mit der Funktion belegt werden kann, welche man möchte. Der geliebte Blendenring steht mir an den Objektiven ja immer noch zur Verfügung.  Auf dem neuen und grossen Hilfsdisplay oben auf dem Body lassen sich alle Werte bestens in jedem Licht ablesen. Es gibt auch die Möglichkeit, dass z.B ein virtuelles Einstellrad für die Verschlusszeit eingeblendet werden kann. Viel spannender ist aus meiner Sicht aber das Einblenden des Histogramms auf dem Hilfsdisplay. Besonders wenn ich mit dem Stativ arbeiten kann ich meine Belichtung so ganz bequem von oben ablesen und nach Bedarf korrigieren. Auch das Q Menü (Schnell Menü) lässt sich ganz einfach mit den gewünschten Funktionen belegen. Da ich z.B mit der GFX selten bis nie in JPEG fotografier, habe ich Funktionen wie Dynamik, Kontrast, Sättigung von diesem Menü verbannt und habe dafür einige andere Funktionen wie MF Fokusassistent, EYE-Fokus und ähnliche Funktionen im Menü aufgenommen.

Der grosse Pluspunkt der GFX100s liegt aber ganz klar bei der Geschwindigkeit des Autofokus und dem IBIS Bildstabilisator. Der neue Phasen-AF ist dem Kontrast-AF der GFX50s weit überlegen. Bei meiner liebsten Disziplin der Landschaftsfotografie ist das natürlich völlig egal, aber wenn ich z.B Firmenportraits, Studioportraits oder ähnliche Arbeiten ausführe ist dies natürlich super. Diesen Sommer habe ich damit sogar mal eine Reportage von Holzbau Schweiz fotografiert und der Fokus hat bestens mitgespielt. Aber sind wir ehrlich, bis jetzt hatte ich keinen einzigen Kunden, welcher für solche Reportagen eine höhere Auflösung als die der kleineren X Kameras gefordert hätte. Mit einer Mittelformatkamera eine Reportage zu machen ist wie mit Kanonen auf Spatzen zu schiessen.
Natürlich ist die Fokusgeschwindigkeit nicht vergleichbar mit den Vollformatkameras oder kleineren Sensorformaten. Aber für eine Mittelformatkamera ist die GFX100s wirklich sehr schnell.
Der IBIS Bildstabilisator macht das Fotografieren mit der Kamera viel angenehmer. Im Wissen, dass auch mit ein wenig längeren Verschlusszeiten aus der Hand fotografiert werden kann, muss nicht immer die Verschlusszeit genau beobachtet werden. Die Kamera verzeiht somit deutlich mehr Fehler.

Braucht meine Kamera wirklich 100MP?! Hätten die 50MP der GFX50s nicht schon gereicht?
Eigentlich war der Bildsensor der GFX50s absolut in Ordnung. Für die meisten Bilder auch grosse Ausdrucke auf gute Papiere war diese Auflösung absolut in Ordnung. Auch wenn der Bildsensor der GFX50s bereits ein wenig älter ist, er ist saumässig gut. Mehr Pixel bedeuten häufig auch mehr Bildrauschen. Hier bin ich vom neuen Bildsensor der Fujifilm GFX100s sehr positiv überrascht. Die 100MP sind in dieser Hinsicht kein Nachteil. Die Reserve an Pixel sind dann manchmal für spezielle Kundenaufträge ein schöner Vorteil und lassen mehr Sonderwünsche zu. Da ich über einen schnellen Rechner verfüge, auf dem ich häufig auch 4K Videos schneide, ist die Bearbeitung auf dem Rechner der neuen RAF Dateien nicht wirklich langsamer oder anders. Bei unkomprimierten RAW Dateien muss aber mit ca. 200MB pro Datei gerechnet werden. Wie auch schon die GFX100 verfügt die GFX100s über 16-Bit Farbtiefe. Den Unterschied zwischen den 14 Bit RAW und den 16 Bit RAW ist aus meiner Sicht aber nur sichtbar, wenn sich die Belichtung bei Landschaften am Limit des Histogramms befindet. Auch im Workflow für den Druck kommt dieser Vorteil auch nur bei sehr guten Druckern und guten Papieren zum Vorschein.
Die Bilder der «Mittelformat-Kamera» sind sehr plastisch und wirken somit sehr natürlich.

Gerne kannst Du diese Bild hier zum test als RAW Datei herunterladen…

Am GFX System von Fujifilm schätze ich persönlich auch die sehr guten Objektive. Es gibt nur sehr wenige Objektive in der Palette von Fujifilm, welche nicht wirklich gut sind. Fujifilm hat bereits beim Lunch der ersten GFX Kamera angedeutet, dass alle Objektive für eine Auflösung von 100MP berechnet wurden. Persönlich liebe ich vor allem das GF23mm (KB 18mm) F4 für Landschaften. Dieses Objektiv zeigt eine hervorragende Bildschärfe bis an die Ränder und macht mir sehr viel Spass. In naher Zukunft wird nach Roadmap von Fujifilm noch ein neues 20-35mm und ein Tilt/Shift-Objektiv auf den Markt kommen. Beide interessieren mich sehr.

Und was ist nun mein Fazit zur GFX100s nach einem halben Jahr?
Die GFX100s ist wirklich eine tolle Kamera. Kaum grösser als die Vollformatkameras der Mittbewerber bietet die Kamera eine unglaubliche Bildqualität. Viele von euch werden nun sagen, 100MP seien völlig übertrieben. Ich bin der Meinung nein. Letzte Woche durfte ich ein Panoramabild der Berneralpen bestehend aus 6 Bildern der GFX100 für einen Kunden bereitstellen, welcher die Wände seiner Praxis mit einem Bild in der Grösse von 2.8 m auf 28 m tapezieren will. Hier konnte die Auflösung der GFX100s natürlich voll auftrumpfen.
Schon klar! Es ist selten, dass solch gigantische Bilder gedruckt werden.
Und eigentlich ist auch die Bedienung der Kamera noch besser geworden als die der GFX50s. Die Leute verstehen das P,S,A und M Einstellrad einfach besser als die die verschiedenen Rädchen mit der Verschlusszeit, Blende und ISO. Es ist einfach reine Bequemlichkeit und man gewöhnt sich sofort an die neue Arbeitsart. Auch der Fokus und der Bildstabilisator sind super. Diese möchte ich nicht mehr missen. Mit ca. Fr. 6000.—ist die GFX100s nicht ganz eine günstige Kamera. Wenn man aber bedenkt, was da alles drin ist, dann ist diese eben doch schon wieder preiswert.
Für alle, die nicht soviel Geld ausgeben möchten gibt es seit kurzem von Fujifilm die GFX50sII. Diese Kamera hat den gleichen schlanken Body und den IBIS Bildstabilisator der GFX100s. Der Sensor der Kamera ist aber der gleiche wie schon bei der alten GFX50s. Wie oben schon geschrieben kein schlechter Bildsensor. Im weiteren hat die GFX50sII auch keinen Phasen-AF sondern nur einen Kontrastfokus. Dieser ist sicher nicht gleichschnell wie der Phasenfokus der GFX100s. Aber für alle, welche keine Reportagen oder ähnliche Sachen fotografieren will, reicht dies bei weitem.

©Patrik Oberlin 2021